Zurück zur Einsamkeit

In Hard Land schildert Benedict Wells eine Coming-of-Age-Geschichte im ländlichen Teil der USA. Trotz einiger Klischees des Genres ist die Story von Sam und seinen Freund:innen lesenswert und es macht durch Wells‘ empathischen Stil Spaß, den Charakteren beim Älterwerden zuzusehen.

Von Lisa Neumann

Bild: Via Pixabay, CC0

Es gibt nicht viele Bücher, die mich zum Weinen gebracht haben. Doch beim Lesen von Benedict Wells‘ Roman Vom Ende der Einsamkeit vor ein paar Jahren hatte ich mehrmals Tränen in den Augen. Sein neuer Roman Hard Land, erschienen im Frühjahr 2021, erzählt nun eine nahezu klassische Coming-of-Age-Geschichte. Der Roman kann leider nicht ganz mit der Nähe zu den Figuren in Vom Ende der Einsamkeit mithalten, ist es aber trotzdem wert, gelesen zu werden.

Zurück zur Einsamkeit

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Benedict Wells
Hard Land

Diogenes: Zürich 2021
352 Seiten, 24,00€

Einsamkeit ist auch in Hard Land ein zentrales Gefühl. Der fünfzehnjährige Sam ist in der Schule ein Außenseiter, nachdem sein einziger Freund weggezogen ist. In der Kleinstadt Grady im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri fristet er ein Dasein, das sich hauptsächlich in den eigenen vier Wänden bewegt. Bis er einen nahezu magischen Job bekommt: Sam hilft über die viel zu langen Sommerferien im örtlichen Kino, das – wie fast alles in Grady – schon bessere Zeiten gesehen hat und nun kurz vor der Schließung steht.

Dort lernt er die charmante und aufsässige Tochter des Inhabers Kirstie sowie ihre Freunde Hightower, einen – wie könnte es anders sein? – lokalen Footballstar und Cameron, einen bisexuellen Filmnerd, kennen. Der nun folgende Plot mit seinen Charakteren erinnert stark an das Jugendbuch The Perks of Being a Wallflower, das in den frühen 2000ern begeisterte. Sam entdeckt die Liebe. Sam hat das erste Mal einen Kater. Sam küsst. Sam hat Sex. Sam hadert mit sich selbst.

Sex, Drugs and Death

Doch all dies geschieht in typischer Wells-Manier nicht ohne Reflexion über ernste Themen. Die Krebserkrankung seiner Mutter verfolgt Sam wie ein Gespenst überallhin. Das Schweigen seines Vaters wirft Schatten auf die Kleinfamilie. Es sind die genaue Charakterzeichnung und die große Empathie, mit der diese geschieht, die auch diesen Wells-Roman trotz manch vorhersehbarer Wendung und Coming-of-Age-Stereotypisierung lesenswert machen. So beschreibt Sam mit bildlicher Sprache das schwierige Verhältnis zu seinem emotional distanzierten Vater, nachdem dieser mit Sams krebskranker Mom von einer Untersuchung aus dem Krankhaus wiederkommt:

Mein Vater war mir oft wie eine heruntergelassene Jalousie vorgekommen. Doch an jenem Mittag konnte ich zumindest durch die Ritzen spähen.

Grady, oh Grady!

Wie in The Perks of Being a Wallflower sind Sams neue Kino-Freund:innen älter und planen, nach ihrem letzten Highschool-Jahr auf Selbstfindungsreise ans College zu gehen. So bleibt Sam erst einmal allein zurück. Und beschäftigt sich mehr und mehr mit dem einzigen Ruhm, welcher der Kleinstadt Grady je zuteil wurde: einem preisgekrönten Gedichtband mit dem Titel Hard Land von einem Autor, der selbst in Grady am Lake Virgin seine Jugend verbringen musste. Der Roman als literarisches Werk thematisiert so die heilende Wirkung guter Literatur – ein gelungener Coup auf Metaebene.

Die Empfindungen des jungen lyrischen Ichs im Gedichtband spiegeln bildlich Sams Emotionswelt wider. Hier gelingt es Wells besonders, das Gefühlsleben und die Entwicklung von Sam anschaulich werden zu lassen, wenn Kirstie am Ende des Romans aus dem Gedicht zitiert:

Nicht ein Zoll mehr in mir, der sich fürchtet. Denn ich weiß die Stadt in meinem Rücken und bin nicht allein. Und so rege ich die Ruder, stets zum Neuen vor und zurück… Bis hinaus über die Zeit, denn zurückkehren kann ich nur als Mann.

Dass Kirstie und Sam dabei wie das lyrische Ich selbst in einem Ruderboot auf dem Lake Virgin sitzen, ist quasi selbsterklärend.

Mit Hard Land gelingt Benedict Wells ein Coming-of-Age-Roman, der zwar nicht frei von Stereotypisierungen des Genres ist, die Emotionen seines Protagonisten aber mit großer Authentizität zeichnet. Auf der Kinoleinwand des inneren Auges der Lesenden bewegen sich Wells Charaktere mit Selbstverständlichkeit. Wells authentischer Stil lässt sie ganz natürlich und lebendig wirken. Und es macht Spaß, ihnen beim Älterwerden zuzusehen.

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