Laufende Gedanken

Triggerwarnung: Erwähnung von Suizid, psychischen Krankheiten

Isabel Bogdans zweiter Roman Laufen nähert sich dem Innenleben einer Frau an, die versuchen muss, etwas Unbegreifbares zu bewältigen. Wie soll man verstehen, dass der eigene Partner nicht mehr weiter leben wollte? Und wie kann man diesen Verlust jemals verarbeiten?

Von Annika Kalvelage

Bild: Via pxhere by Muddu36, CC0 1.0

ich trainiere doch nicht, ich versuche nur ein bisschen fitter zu werden, trainieren klingt so ernst nach Leistungssport, dabei ist mir vollkommen egal, wie schnell ich bin, ich laufe keinen Wettkampf, ich laufe gegen niemanden, außer gegen mich selbst vielleicht

Isabel Bogdans Roman Laufen ist eigentlich eine Sammlung innerer Monologe der namenlosen Hauptfigur, die wortwörtlich gegen ihre Gefühle, Gedanken und Schmerzen anläuft. Zu Beginn des Buches ist es noch ihr Plan, sich von diesen quälenden Zuständen mit körperlicher Anstrengung abzulenken und sie für eine Weile zu betäuben. Doch je länger sie läuft, desto intensiver werden ihre Gedankenströme. Nach und nach können die Lesenden so rekonstruieren, was passiert ist: Ihr langjähriger Partner hat sich vor einem Jahr das Leben genommen und ein tiefes Loch hinterlassen.

Dem Rat ihrer besten Freundin Rike folgend hat sie nun wieder mit dem Laufen angefangen und zeitgleich endlich einen Therapieplatz gefunden, um professionelle Hilfe im Umgang mit der giftigen Mischung aus Gefühlen und Gedanken zu bekommen, die der Verlust des geliebten Menschen zusammengebraut hat. Isabel Bogdan zeigt viel Feingefühl im Schildern dieses inneren Chaos und spiegelt mit einem markanten Schreibstil das Rasen, das rhythmische Fließen oder Springen im Inneren der Hauptfigur wider. Es gelingt ihr, den Takt der Orchester-Bratschistin auf dem Papier sichtbar zu machen. Sie spielt vor allem mit Silben und Satzzeichen, bevorzugt zum Beispiel häufig die weichere Grenze eines Kommas über den harten Punkt, um den Gedankenstrom nachzuahmen, der ebenfalls nur selten in abgeschlossenen Einheiten stattfindet.

Schuld und Abschied

Die Spannweite an Emotionen, die die Laufende heimsuchen, reicht von Trauer über Wut bis zur Einsamkeit. Aber die Schuld, die sie empfindet, und die Vorwürfe, die sie sich macht – sie hätte den Suizid verhindern müssen, sie hätte doch etwas merken müssen – identifiziert sie als Gedanken, nicht als Gefühle. Sie löst sie selbst aus, indem sie ständig darüber grübelt, was sie hätte anders machen können und sie werden besser, wenn sie sich vor Augen hält, dass niemand in den Kopf seines Partners schauen und seine Handlungen voraussagen kann. Gefühle aber sind etwas Unwillkürliches, mit dem ihr Gewissen nur indirekt etwas zu tun hat und das sich durch logische Argumente nicht vertreiben lässt. Ihre vermeintlichen Schuldgefühle sind demnach keine eigentlichen Gefühle, auch wenn sie umgangssprachlich als solche bezeichnet werden. Dennoch fällt es ihr schwer von ihnen abzulassen:

Es kann nie wieder besser werden, darf es überhaupt besser werden, hätte ich dich dann nicht wirklich auf dem Gewissen, wäre es dann nicht wirklich meine Schuld?

Ein Grund dafür ist sicherlich, dass sie auch von dem so plötzlich aus ihrem Leben geschiedenen Mann nicht Abschied nehmen konnte und ihn in Gedanken immer noch ständig direkt anspricht. Erst am Ende des Buches spricht sie nicht mehr von »du«, sondern von »ihm«, wenn sie an ihn denkt. Sie versucht zu verstehen, was eigentlich passiert ist und warum er diesen Schritt gegangen ist. Ihr Freund litt an einer schweren Depression, die er einige Zeit vorher schon einmal in den Griff bekommen hatte, die dann aber mit voller Härte zurückgekommen war.

Verstehen

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Isabel Bogdan
Laufen

Kiepenheuer & Witsch: Köln 2019
208 Seiten, 16,99 €

Wie fast alle Angehörigen psychisch kranker Menschen steht Bogdans Hauptfigur vor der Schwierigkeit, nachzuvollziehen, was in dem Anderen vorgeht, und vor dem Rätsel, ob man ihm helfen kann. Nach seinem Tod sind diese Probleme nicht einfach verschwunden. – Im Gegenteil, das Verstehen wird noch schwieriger. Ganz abschließen kann sie mit dem Geschehenen deswegen nicht und sie wird es vermutlich auch nie können. Doch sie schafft es, langsam einen Umgang mit dem Schmerz zu finden. Sie hat gelernt, damit zu leben und sich nicht mehr davon überwältigen und einschränken zu lassen.

Isabel Bogdan schildert diesen Weg, der durch viele Tiefen und über nur relative Höhen führt, ohne dass es kitschig oder unglaubwürdig wird. Es gibt nämlich kein Friede-Freude-Eierkuchen-Happy-End. Die Unfähigkeit des sozialen Umfeldes der Hauptfigur, dieser in ihrer Trauer zu helfen und die Dauerpräsenz des Suizids und Verlusts sind reale Szenarien. Obwohl der Traumjob als Bratschistin in einem Hamburger Orchester, die perfekte beste Freundin und die Unterstützung einer guten Therapeutin durchaus Faktoren sind, die außerhalb eines Romans nur sehr selten zusammen vorkommen. Es lohnt sich dennoch das Buch zu lesen, allein schon des besonderen, fast schon musikalischen Schreibstils wegen.

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