Vier Generationen Mutterliebe

In ihrem Debütroman Die Chamäleondamen porträtiert Yvonne Hergane feinfühlig Edith, Marita, Ellie und Hanne – vier Generationen von Müttern. Der Autorin gelingt es dabei, einen roten Faden über ein Jahrhundert zu ziehen und ein realistisches Frauenbild zu vermitteln.

Von Linda Nunn

Bild: Via Pixabay, CC0

In ihrem Debütroman Die Chamäleondamen spannt Yvonne Hergane einen Bogen über mehr als ein Jahrhundert, vom rumänischen Reschitza Ende des 19. Jahrhunderts bis ins Hamburg der Gegenwart, und erzählt dabei die Geschichte von Edith, Marita, Ellie und Hanne. In kurzen Anekdoten aus dem Leben der vier Protagonistinnen zeichnet die Autorin anhand der vier Generationen einer Familie ein umfassendes Bild davon, was es bedeutet, Frau und Mutter zu sein.

Mutterschaft als gemeinsames Thema

Wenn die vier Frauen eine Sache verbindet, dann ihre Liebe zu ihrem Kind. Mutterschaft bildet das vorherrschende Thema des Romans und wird vielschichtig dargestellt. Immer wieder werden die Mütter auf die Probe gestellt, mit gesellschaftlichen Normen und politischen Zwängen konfrontiert. Doch klar ist dabei stets, dass das Wohl des Kindes Vorrang hat. Die Frauen stehen dafür unnachgiebig ein: Sei es, indem Edith ihrer Enkelin Latzhosen schneidern lässt, obwohl es sich Mitte der 50er nicht gehört, dass Mädchen Hosen tragen, oder dass Hanne im Hamburg der 2010er-Jahre die Bedürfnisse ihres Sohnes ernst nimmt und auf den raren Platz im angesehenen Elite-Kindergarten verzichtet, obwohl das dem Optimierungszwang der anderen Eltern in ihrem Umfeld widerspricht. Die Vier beweisen nicht nur viel Stärke und Mut in ihrem Einsatz für das Wohl ihrer Kinder, sondern auch Verletzlichkeit und Schwächen.

Jede Mutter versucht die Fehler ihrer Mutter zu vermeiden, macht dafür eigene, andere, die sich dann aber doch oft als die alten rausstellen.

So lautet Hannes Resümee zu den ersten Jahren ihrer Mutterschaft und denen ihrer Vorfahrinnen. Hergane gelingt es, die Frauen nicht blind zu glorifizieren und zu zweidimensionalen Heldinnen-Figuren zu machen.  Die Leser:innen sympathisieren mit den Protagonistinnen, da stets klar ist, dass sie in ihren Taten von Mutterliebe geleitet sind.

Angenehm echt

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Yvonne Hergane
Die Chamäleondamen

MaroVerlag: Augsburg 2020
240 Seiten, 20,00€

Der Roman setzt an einer Stelle ein, die thematisch auch den Beginn eines Märchens darstellen könnte: Die junge Braut Edith, die heiraten muss, um gesellschaftlichen Konventionen zu entsprechen, flieht in der Hochzeitsnacht aus dem Fenster und in die Arme ihres Geliebten. So märchenhaft und romantisch das auch klingen mag – klischeehafte Liebesgeschichten oder aufregende Abenteuererzählungen sind in Die Chamäleondamen nicht zu finden. Während Edith sich aus dem Fenster schwingt und zu ihrem Bräutigam zurückblickt, realisiert sie nüchtern, dass ihr Erleben nicht aufregend genug für eine gute Legende ist, und gibt damit den Ton des Romans an.

Auch die Geburt von Ediths Enkelin Ellie wird auf unverklärte Art dargestellt. Marita, die Mutter, empfindet den Moment nicht als wunderschön. In geradezu ekelerregend eindrücklichen Bildern wird Ellies Geburt stattdessen als einer der bizarrsten Momente in Maritas Leben geschildert. Auch der Augenblick, in dem die Mutter zu ersten Mal ihr Neugeborenes im Arm hält, bringt nicht die große Freude, das Wiedergutmachen des vorangegangenen Schmerzes. Marita übergibt ihr Kind der eigenen Mutter und beschließt, diese Tortur kein weiteres Mal durchzumachen. Diese ungeschönte Erzählweise derartiger Ereignisse steht im klaren Gegensatz zu stereotypen Narrativen, die nicht nur literarisch, sondern auch gesellschaftlich immer noch aufrechterhalten werden. Nicht jede Frau erlebt die Geburt ihres Kindes als magischen Moment und nicht jede Flucht in der Hochzeitsnacht ist von brennendem Begehren nach dem Geliebten geprägt, das macht Hergane klar, und ihren Roman damit erfrischend realitätsnah.  

Fesselnde Geschwindigkeit

Obwohl die Handlung keinem klassischen Spannungsbogen folgt, fiebert der:die Leser:in von Anfang an mit. Die kurzen Kapitel und der kunstvolle Einsatz von Sprache erzeugen eine Dynamik, die in ihren Bann zieht: 

Als er aufreißt, das Fenster und die Augen und den Mund, hebt Edith nur einen Finger zum Stummsein und ihre Kleiderschöße zum Freisein und klettert rein, als wäre alles andere undenkbar.

Hergane setzt Worte vielseitig und raffiniert ein, knüpft Sätze durch Verben aneinander und setzt die gleichen Wörter wiederholt, allerdings mit sich verändernder Bedeutung ein, wodurch sich der Text zeitweise nahezu lyrisch liest. Sie baut sprachliche Brücken und fordert subtil Aufmerksamkeit beim Lesen. Auch dadurch, dass eine klassische Einleitung und eine Vorstellung der Charaktere entfallen, ist ein gewisses Maß an Konzentration erforderlich, um Überblick zu behalten über die Lebensgeschichten der vier Frauen, die parallel erzählt werden, und besonders über ihre Beziehungen zu Männern, denen weniger Beachtung geschenkt wird. Der Stammbaum zu Beginn des Buches kann dabei als Hilfestellung dienen.

Feinfühlig und unaufdringlich webt Hergane politische und zeitgeschichtliche Hintergründe in intime Gefühlsschilderungen ein. Die Leser:innen bekommen einen Einblick in den Alltag einer Familie im deutschgeprägten Reschitza in Rumänien, das Leben unter kommunistischer Diktatur und die Flucht nach Deutschland. Ellie übt mit Hanne Schwimmen mit Klamotten als Fluchtvorbereitung, Marita sucht einen deutschen Ehemann für Ziehtochter Sanda und Hanne leidet unter dem Versuch, ihre rumänische Kindheit mit ihrem neuen Leben in Deutschland in einer Lebensgeschichte zu vereinen.

Verlag-Info

Der MaroVerlag ist ein unabhängiger deutscher Buchverlag mit Sitz in Augsburg. Der Verlag wurde 1969 von Benno Käsmayr und Franz Bermeitinger gegründet. Der Durchbruch kam mit den Büchern von Charles Bukowski. Schwerpunkte des Verlages sind Typographie-Bücher, Fachbücher zum Thema Textildesign und Textiltechnik sowie aus den Bereichen Sozialpolitik, Sozialpädagogik und Umweltökonomie.

In Deutschland windet sie sich dann jedes Mal, wenn Freunde fragen, warum ihre Mutter so einen komischen Dialekt spricht und nicht das bayerische Schwäbisch, das Hanne blitzschnell als Tarnfarbe angenommen hat.

Das Chamäleon steht nicht nur als Symbol für die Anpassungsfähigkeit der vier Frauen, die, egal wie schwer die Umstände auch sein mögen, immer einen Weg finden, für ihre Kinder zu sorgen. Als Keramik-Talisman, der von Frau zu Frau weitergereicht wird, verkörpert es auch die Hoffnung und den starken Glauben daran, dass am Ende immer alles gut wird, solange die enge Bindung zwischen den vier Generationen besteht.

Hergane gelingt es, vier vielschichtige Charaktere zu zeichnen und einen roten Faden durch die Generationen der Mütter vor wechselnden politischen Hintergründen und persönlichen Umständen zu ziehen. Durch den bewussten Verzicht auf Klischees und überzeichnete Persönlichkeiten leistet der Roman einen Beitrag zur Stärkung realistischer Frauenbilder in der Literatur, und die Verbindung der persönlichen Gefühlsebene mit den politisch auch immer noch relevanten Themen gibt dem Roman eine besondere Tiefe. Alles dies macht Die Chamäleondamen zu mehr als nur einer sprachlich raffinierten Unterhaltungslektüre.

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