Aus der Sicht eines Mannes

Feridun Zaimoglu möchte die Geschichte neu schreiben – aus Sicht der Frau. Zehn davon kommen in seinem Roman zu Wort. Dabei verliert der Autor sich in schriftstellerischer Eitelkeit und legt den Fokus auf seine Sprachspiele anstelle des Inhalts. Lust zu lesen macht das nicht.

Von Lena Karger

Bild: Via piqsels, CC0

Der Klappentext von Feridun Zaimoglus Roman Die Geschichte der Frau kündigt Großes an: Es ist von einem »feministischen Manifest« die Rede, das »außerordentlichen Frauen der Geschichte« endlich eine Stimme verleiht. Dafür kommen zehn Frauen der literarischen und realen Welt der letzten 3500 Jahre zu Wort, die bisher – so das Konzept – außer als Ehefrauen berühmter Männer und dekoratives Beiwerk der Geschichte nie sprechen durften. Jede der zehn bekommt ihr eigenes Kapitel. Die Erzählungen beginnen mit Zippora, der schwarzhäutigen Frau von Moses, und enden mit der radikalen Feministin Valerie Solanas, die im Sommer 1968 versuchte, Andy Warhol zu töten. Weiter fokussiert sich die Auswahl der Frauen auf bekannte Figuren der Literaturgeschichte, wie Brunhild aus dem Nibelungenlied, die Lore Lay aus der Ballade von Clemens Brentano und Antigone aus der griechischen Mythologie. Mit dem Roman hat sich Feridun Zaimoglu selbst und seinen Leser*innen eine Mammutaufgabe gestellt.

Zaimoglu gibt Frauen eine Stimme

Das Konzept des Romans ist ein Paradoxon: Nachdem unsere westlichen Geschichten Jahrtausende lang von Männern erzählt wurden, bekommen ihre Frauen endlich eine Stimme, so heißt es. Und dann ist die Stimme männlich. Das dürfte nicht nur feministische Leser*innen leise wundern. Auch wenn die Romanidee schön und notwendig ist, wird man während der Lektüre das Gefühl nicht los, dass hier erneut eine männliche Aneignung stattfindet. Nicht weil der literarische Stil ein spezifisch »männlicher« wäre, aber weil der Blick der eines Mannes bleibt, der über den Schmerz, den er beschreiben möchte, nichts wirklich wissen kann. Das soll nicht heißen, dass Autoren keine guten Protagonistinnen und Autorinnen keine guten Protagonisten erschaffen können. Aber in Anbetracht der Größe des Projekts und seinem angeblichen Kerngedanken, die männliche Dominanz eines Narrativs zu durchbrechen, kann der Roman mit einem männlichen Autor nicht rund werden. Hätte man es nicht in Zusammenarbeit mit einer Autorin schreiben können? Natürlich kann auch eine oder einer nie für sein ganzes ›Geschlecht‹ sprechen. Aber für die Themen Sexismus und sexuelle Gewalt hätte es eine andere Sensibilität gegeben.

Sexuelle Gewalt und pathetische Sprachspiele

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Feridun Zaimoglu
Die Geschichte der Frau

Kiepenheuer & Witsch: Köln 2019
400 Seiten, 24,00€

Zu kurz kommt das Thema der sexuellen Gewalt jedoch nicht. Darauf achtet Zaimoglu und schreibt sie in jede seiner zehn Geschichten hinein. Die Frauen werden geschlagen, missbraucht und von Männern unter Druck gesetzt, sich unterzuordnen. Die Männer kommen dabei nicht gut weg. Trotzdem schafft der Autor keine reinen Opfer oder Engel, sondern Persönlichkeiten, die versuchen, ihr Leben zu meistern, machen. Häufig werden sie jedoch vom Wahn befallen wie die Trümmerfrau Hildrun Tillman und die Feministin Valerie Solanas, was Zaimoglu einen abgehackten und flackernden Sprachstil erlaubt.

Die Sprache des Autors ist häufig eklektisch und immer pathetisch. Wahrscheinlich hat Zaimoglu sein Thema auch gewählt, um seine Leidenschaft für Sprachgewalt auszuleben. Denn nichts verspricht mehr Drama als Legende, Religion und die Perspektive von Unterdrückten. Dafür wird der Autor kreativ. Die Feministin Solanas bezeichnet Penisse als »nackte Lendenrammen« und Drogenabhängige als »Freaks mit frostiger Fresse.« Im Kapitel der Trümmerfrau Hildrun Tillmann heißt das Morden unter Hitler »Fleischernte« und Fremde tauchen nicht einfach auf, sondern »die Nacht gebiert« sie. Zaimoglus Sprache ist martialisch und häufig überladen. Als würde er seine Leser*innen permanent mit gehaltvollen Sprachhappen füttern, während diese kaum mehr Luft bekommt und nach einer Pause japsen.

Die Romanidee ist interessant und so naheliegend, dass schon längst jemand darauf hätte kommen können. Trotzdem scheint das Buch in erster Linie wie ein Spielfeld Zaimoglus, um sich in Sprachspielen zu üben. Natürlich kann man einem Autoren schlecht seine Schreibfreude vorwerfen. Doch in Die Geschichte der Frau wirkt die Sprache so überstilisiert, dass sie sich vor den Inhalt schiebt und die Figuren verdeckt. Damit ist das verkündete Ziel des Romans verfehlt, denn um die Frauen sollte es gehen. Doch ihre Gefühle und Gedanken verschwinden hinter einer Wand aus Sprachgewalt. Wenn Zaimoglu dies nicht mehr durch alte Zeiten rechtfertigen kann, wählt er wahnsinnige Figuren aus, um die inneren Monologe aufzupeppen. Menschen, die Pathos mögen, werden ihren Spaß daran haben. Alle anderen eher weniger.

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