Gleichliebende, Greiflöcher und Guckbälle

In Eine Liebe in Pjöngjang beschreibt Andreas Stichmann die (lesbische) Liebe sprachlich stockend, aber mit interessanten Bildern. Gleichzeitig nimmt er als weißer Mann unter anderem die Perspektive einer 30-jährigen Frau aus Nordkorea ein – die Lektüre baut also schon im Vorfeld große Spannung auf.

Von Frida Labitzke

Bild: Via Pixabay, CC0

Lesbisch-sein in Nordkorea – kann man sich aus westlicher Perspektive ein noch größeres Extrem vorstellen? Trotzdem versucht sich Andreas Stichmann in seinem buchpreisnominierten Roman Eine Liebe in Pjöngjang genau an dieser Geschichte. Die Betonung liegt hier leider wortwörtlich auf ›versuchen‹. Trotzdem reizen sowohl der Titel des Buches als auch sein Thema in der eigentlich unmöglichen Kombination mit dem weißen männlichen Autor, dem Text zumindest zu Recherche-Zwecken eine Chance zu geben. Die Beschreibung auf dem Buchrücken ist so simpel wie unangenehm: »Die unwahrscheinliche Geschichte einer Liebe zwischen zwei ungleichen Frauen, zwei Lebensaltern, zwei Kulturen.« Es geht um die Liebe zwischen der Kulturschaffenden Claudia Aebischer und DVRK-Agentin (Demokratischen Volksrepublik Korea) Sunmi. Weiter heißt es, das Buch würde sich »das Fremde anverwandeln«, was nicht nur schwurbelig klingt, sondern auch einen Vorgeschmack auf den verqueren Schreibstil gibt, der auf den 156 Seiten dominiert.  

Weniger ist nicht immer mehr

Die Sätze sind kurz und abgehackt formuliert und reißen eine:n immer wieder abrupt aus dem Lesefluss, was nicht zuletzt durch zu häufig gesetzte Doppelpunkte unterstützt wird. Auch längere Sätze sollen dadurch unterbrochen werden, was an manchen Stellen verständlich und angebracht, an vielen anderen hingegen überflüssig ist. Der Nominalstil mutet oft umständlich an. »Guckbälle«, »Nackenwülste« oder aber »Lebefrau« stehen als Formulierungen stellvertretend für die recht außergewöhnliche Sprache, die Stichmann für seine Beschreibungen verwendet und die beim Lesen immer auch einen seltsamen Nachgeschmack hinterlässt. Schön ist hingegen die ausgedehnte Farbpalette, die durchweg zum Einsatz kommt, so gibt es »marzipanrosa«, »smaragdgrün« und »eisblau«.

Beim Lesen ergibt sich an mehreren Stellen außerdem die Frage nach dem latenten Rassismus: Zeigen die Äußerungen mancher Figuren absichtlich mit dem Finger, um den White Saviourism offenzulegen, mit dem sich viele deutsche Menschen über andere Akzente lustig machen? Sunmis Akzent wird überbetont herausgestellt, was besonders deshalb fehl am Platz wirkt, da sie in der Germanistik promoviert hat und perfektes Deutsch spricht:

Sunmis Alsos gefielen Claudia sehr. Sie benutzte sie wohl als Suchpausen, wenn sie dabei war, ihre fein gedrechselten Sätze zu bauen. Oder wollte sie, im Gegenteil, schnoddrig klingen? Etwas trotzig schaute sie schon aus ihrer puppigen Dolmetscherinnengaderobe.

Die möglicherweise angedachte Kritik scheint leider zu sanft durch die Zeilen, denn auch Formulierungen wie »braun und nackt« fallen unschön auf. Dazwischen, berechtigte Nordkorea-Kritik zu üben und sich über andere Kulturen und Ethnien lustig zu machen, steht ein nicht so schmaler Grat, bei dem eigentlich sehr deutlich zu Tage treten sollte, dass das fraglos kritikwürdige politische System Nordkoreas von den dort lebenden Menschen unterschieden werden muss.

Ein klatschender Blick auf schweißnasse Brust

Stichmann rekurriert schließlich auch immer wieder auf vorherrschende heteronormative Klischees: Claudia Aebischer ist mit ihren 1,80 Meter, der Kurzhaar-Frisur und einem Jumpsuit der maskuline Part der Beziehung und kann wegen genau dieser angeblichen Maskulinität von der femininen, zarten Sunmi attraktiv gefunden werden. Die Beziehung der Frauen entwickelt sich im Verlauf der Geschichte komisch schnell und wenig nachvollziehbar, was nicht zuletzt an der seltsam konstruierten ersten ›Begegnung‹ liegen mag: Claudia befindet sich in einem Zug und stellt Augenkontakt mit der ihrerseits ebenfalls in einem vorbeifahrenden Zug stehenden Sunmi her. Ausgetauschte Zärtlichkeiten sind nie liebevoll, sondern immer etwas eklig konnotiert: Es geht um fremde klebende Haare, die andere berühren, das Abrutschen aufgrund von schweißigen Händen, schöne Guckbälle – statt Augen. Durch die fehlende Tiefe fühlt sich die Verbindung zwischen den Frauen durchweg sehr vage und im Grunde nicht existent an.

Der Zeigefinger der Knienden rieb über die Nackenwülste des Tieres, ihre Augenbälle aber waren auf Sunmi gerichtet. Für die Dauer des Streichelns war es Sunmi, als würde eigentlich ihr Knöchel gestreichelt.

Claudia Aebischer übernimmt die Rolle der intellektuellen, kinderlosen Nordkorea-Expertin – kinderlos natürlich deshalb, weil sie sich für eine Kariere entschieden hat. Auch dass erwähnt wird, wie kurz ihr sonst unbekannte Muttergefühle in ihr aufkeimen, unterstützt die grobe Zeichnung ihrer Figur. Bei Sunmi verhält es sich ähnlich, so findet sie ihre Tränen beispielsweise peinlich. Auf diese Art wird permanent mit dem Finger auf veraltete Ansichtsweisen, wie dass Frauen sich immer entweder für eine Kariere oder für Kinder entscheiden müssten, gestupst, um den vermeintlichen Feminismus des Buches herauszustellen. Daher ist Claudia auch »gleichliebend«, nicht lesbisch – um dieses Wort wird im gesamten Roman ein großer Bogen geschlagen.

Gal Pals

Die Frage, ob Sunmi eine wirkliche Verbindung zu Claudia sucht oder nur ihren Auftrag pflichtbewusst erfüllen will, zieht sich durch den ganzen Roman. So fragt man sich die ganze Zeit, ob sie nun gute Freundinnen oder Liebende sind, denn auch, wenn man Letzteres sehr doch sehr stark annehmen kann, wird immer wieder ein Rückzug gemacht, der Zweifel aufkommen lässt. Dass sie etwas viel besseres als Liebe teilen würden, etwas »Nicht-Sexuelles. Etwas Größeres. Freundschaft« scheint auch nur wieder auf die Verneinung der Liebe zwischen zwei Frauen, die offensichtlich eine Beziehung führen, zu rekurrieren und wirkt komisch veraltet. Zumindest das bleibt im Grunde trotzdem eine interessante Frage und führt dazu, dass man schließlich doch immer weiterliest. Leider erfüllt das Buch in seiner Gesamtheit am Ende dann nur mäßig, was es zunächst verspricht, und hätte an einigen Stellen gerne kritischer, weniger offensichtlich und besser formuliert sein können.

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Andreas Stichmann
Eine Liebe in Pjöngjang

Rowohlt: Hamburg 2022
160 Seiten, 20,00€

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