Verdächtig

Eine der drei Kameradinnen soll einen Brand gelegt haben. Die Leser:innen tragen vielleicht rassistische Denkmuster in sich. Und stimmt etwas in der Erzählung nicht? Shida Bazyar schafft mit ihrem Roman Drei Kameradinnen eine Verunsicherung, die äußerst produktiv ist.

Von Lisa Marie Müller

Bild: Privat

Die Drei Kameradinnen Kasih, Saya und Hani sind in erster Linie Freundinnen. Seit ihrer Kindheit in der Vorstadt-Siedlung sind sie befreundet. In dieser Freundschaft teilen sie jedoch nicht nur Alkohol und Schlafplätze miteinander, sondern auch rassistische Ausgrenzungserfahrungen. Die Ich-Erzählerin Kasih berichtet aus ihren Leben bis zu der Nacht, in der die eigentliche Handlung stattfindet. Sie erzählt in Anekdoten, unmittelbar gerichtet an die Leser:innenschaft, weil sie sich ablenken will, während sie auf Sayas Rückkehr aus dem Gefängnis wartet. Die kleinen Einblicke in das Leben der drei bauen aufeinander auf und geben Rückschlüsse auf die Wut Sayas, die vielleicht letztlich zur Einbuchtung führte.

Was ist passiert? Diese Frage durchzieht den zweiten Roman von Shida Bazyar. In einem Zeitungsartikel, der dem Text vorangestellt ist, wird von einem Brand berichtet. Die wütende Saya wird darin verdächtigt, ihn gelegt zu haben. Während der Artikel von rassistischen Zuschreibungen nur so strotzt (Sayas Familie wird in die Nähe von mutmaßlichen Terrorist:innen gerückt), greift die Erzählerin mögliches alltagsrassistisches Denken der Leser:innen immer wieder auf und markiert es, oft, bis es anstrengend wird, die Vorwürfe zu lesen:

Schon klar, ihr seid nicht so, ihr stellt euch das gar nicht vor, denn ihr habt ja eine Weile geholfen, Kleider zu sortieren und Kuscheltiere zu verteilen, solche Vorurteile habt ihr nicht mehr. Ihr wart nämlich bei euren Hilfsaktionen zu allen nett, auch zu Leuten, vor denen ihr euch ein wenig gefürchtet habt, ihr wart ganz tapfer und liebevoll, auch dann noch, als ihr euch gefragt habt, ob Terroristen unter euren Schutzbefohlenen sind, dann wart ihr immer noch liebevoll, aber eben auch Rassisten, liebevolle Rassisten.

Kasih stellt die Leser:innen unter Verdacht und diese Provokation funktioniert nicht immer – vielleicht, weil sich nicht alle gleichermaßen ertappt fühlen, wenn beispielsweise von Unkenntnissen oder einer lapidaren Haltung gegenüber NSU-ähnlichen Strukturen ausgegangen wird. Das gezwungene Auseinandersetzen mit rassistischen Denkmustern und privilegierten Haltungen hingegen geht tadellos auf.

Macht im Erzählen

Kasih stellt ihr eigenes Erzählen immer wieder in den Vordergrund und macht die Metaebene explizit: »Es war ja auch das Hinterhaus, das zwei Tage später abfackeln würde. Doch da sind wir noch nicht. Wer immer auf die Reihenfolge pocht, wird sich ja wohl noch mal gedulden können. Ihr wisst schon: Einleitung, Hauptteil, Schluss.« Chronologisch ist die Geschichte keineswegs erzählt, Kasih nicht alles zu glauben, liegt dadurch nahe. Bazyar hat mit ihrer Erzählerin und dem ihr ausgelieferten Publikum ein spannendes Machtverhältnis aufgebaut, das Kasih selbst am besten auf den Punkt bringt: »Ich habe eine Schreibpause eingelegt, für wenige Minuten. Ihr habt das nicht gemerkt, denn ohne mich seid ihr nun mal aufgeschmissen, ohne mich checkt ihr hier gar nichts. Ihr braucht mich, aber ich kann euch auch verarschen, ohne dass ihr irgendwas davon merkt.« Eine verdächtige Aussage, die aber neugierig macht.

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Shida Bazyar
Drei Kameradinnen

KiWi: Köln 2021
352 Seiten, 22,00€

Die achronische Aneinanderreihung der Anekdoten deckt sich mit der Entscheidung der Autorin, die Kapitel nicht zu beziffern. Stattdessen gibt es hinter Sinnabschnitten drei kleine Pfeilspitzen, zwei schwarze rechts und links, eine etwas heller und größer hervorgehoben in der Mitte. Eine Analogie auf die drei Kameradinnen? In jedem Fall geschickt umgesetzt. Erzählerische Mittel sind ebenso wohlüberlegt, wie zum Beispiel das Setzen von Leerstellen. Weder die Herkunftsländer noch die Sprachen der drei Kameradinnen werden benannt; der alltagsrassistische Reflex, zu fragen, woher die drei kommen, wird so nicht bedient.

Klassenbewusstsein und Freundschaft

Besonders an den Geschichten von Kasih ist die Eindrücklichkeit von vermeintlichen Nebensächlichkeiten im Leben der Protagonistinnen. Wenn erzählt wird, dass sie nicht wissen, wie man sich zu bestimmten Anlässen anzieht, richtig verhält und isst, weil ältere Geschwister oder Eltern ihnen das nicht erzählen können. So ist Sayas Abgucken von Tischmanieren, um nicht aufzufallen, sehr nachvollziehbar beschrieben und ein grundlegendes Beispiel für ein gesellschaftlich und literarisch immer mehr in den Vordergrund rückendes Thema: Klassismus. Oder die Hausaufgabe von Hani, ein Blätterportfolio bestimmter in Deutschland heimischer Bäume anzulegen: Sie kennt die Namen der Bäume nicht, kann ihre Familie aufgrund der Sprach- und Bildungsbarriere nicht danach fragen. Sie lässt die sechs Wochen, die sie dafür Zeit hat, verstreichen und wendet sich einen Tag vor der Abgabe verzweifelt an ihre Freundinnen. Die helfen ihr dabei, zumindest irgendetwas abgeben zu können: »Wir kennen uns eben schon sehr lange, ihr kennt die Baumarten auswendig, wir kennen uns gegenseitig auswendig, jeder setzt eben auch andere Prioritäten im Leben.«

Dreimal wird im Rahmen von Drei Kameradinnen verdächtigt: Saya soll den Brand gelegt haben, die Leser:innen des Buches sollen rassistische Denkmuster haben und vielleicht stimmt irgendwas im Erzählen von Kasih nicht. Es geht um die Frage nach der Wahrheit und wer eigentlich bestimmt, was wahr ist. Welcher Verdacht letztlich berechtigt ist und welcher nicht, lohnt sich bei der Lektüre selbst herauszufinden.

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